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Die Scientabilität, die Homöopathie und die Wissenschaftsbasierte Medizin. 2. Was soll’s

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In Anbetracht der eingangs Teil 1 formulierten Kritik könnte man die „Scientabilität“ wegen fehlender praktischer Folgerungen als irrelevant ad acta legen. Aber sie hat einen Kern, der eine nähere Betrachtung verdient. Bei der Bewertung von Studienergebnissen ist die Einbeziehung der a-priori-Wahrscheinlichkeit unverzichtbar, oder schlicht gesagt: außergewöhnliche Ansprüche erfordern außergewöhnlich gute Beweise. Faraday soll gesagt haben, wenn es gelänge, mit Gedankenkraft auch nur eine Feder anzuheben, müsste sich unsere Auffassung vom Weltall ändern. Das gleiche gilt für die Homöopathie: die Datenlage aus 200 Jahren Wissenschaftsgeschichte ist einfach überwältigend. Wohl kaum etwas in der Medizin ist besser und gründlicher untersucht worden als die Homöopathie. Diese Datenlage kann mit einer positiven kontrollierten Doppelblindstudie nicht ausgehebelt werden. Es wäre um Größenordnungen wahrscheinlicher, dass diese Studie fehlerhaft war; und wenn sie es nicht war, dann kann sie nur das methodisch bedingte, unausweichliche 5% Grundrauschen repräsentieren. Die weitere „Forschung“ auf diesem Gebiet wäre in der Tat sinnlose Vergeudung von Ressourcen. Es genügt vollständig, sich mit den bereits vorliegenden zusammenfassenden Berichten bekannt zu machen (z.B. dem Donner-Report 1966, dem Bericht an das House of Commons 2010, dem australischen NHMRC-Papier von 2014 oder unüberschaubar vielen anderen mehr).

Keine einfache Formel

Das Konzept der „Scientabilität“ berührt ein Problem, das bedeutsam, global aber schwierig zu lösen ist: die Suche nach einer einfachen Formel, mit der sich die Wissenschaft von Narretei und Scharlatanerie abgrenzen lässt. In vielen Fällen stellt sich die Frage eigentlich nicht, weil das offensichtlich ist – dennoch es ist unerwartet komplex, Regeln zu formulieren, die über den Einzelfall hinaus gültig sind. Für die Physik haben das beispielsweise Fred Gruenberger mit seinem „Measure for Crackpots“ oder John C. Baez mit seinem „Crackpot Index“ versucht. Das sind sozusagen Kataloge von Indikatoren für Unsinn, aber sie bieten keine übergreifende, theoretische Grundlegung. Auch Popper hat sich mehrfach mit diesem wichtigen Thema befasst, aber eine schlagende, griffige Formulierung ist uns nicht geläufig (überdies wird er in dieser Hinsicht gerne missverstanden).

Ad Fontes. Science Based Medicine

Eine in gewisser Weise kurzschlüssige Darstellung der Scientabilität hat also einer noch kurzschlüssigeren Kritik Vorschub geleistet. Es scheint deshalb erforderlich, auf die wesentliche Inspirationsquelle hinzuweisen: das Konzept der wissenschaftsbasierten Medizin, Science based Medicine (SBM). „Human trials are messy“ (Humanstudien sind fehleranfällig) und unterliegen allen Arten von möglichen Verzerrungen, sagt Kimball Atwood, und dies ist der Grund, weshalb das Konzept der „Science based Medicine“ in Abgrenzung von der evidenzbasierten Medizin (EBM), und eigentlich in Weiterentwicklung letzterer, erarbeitet wurde. Zu berücksichtigen ist, dass die Ausgangslage in den USA deutlich anders ist: während es in Deutschland nur eine geringe öffentliche Förderung der Untersuchung „alternativmedizinischer“ – sprich paramedizinischer – Therapien gibt, hat das Nationale Zentrum für die alternative und komplementäre Medizin (NCCAM) in den USA in den Jahren 2014 und 2015 ein Budget von je 124 Mio. Dollar.

Die Kritik an der evidenzbasierten Medizin i.e.S. bezieht sich auf die formal ausschließliche Akzeptanz von kontrollierten Doppelblindstudien in den höheren Evidenzlevels, unter Ausblendung grundlegender Erkenntnisse der (Natur-)Wissenschaften. Ein wenig ist das auch eine philosophische Frage – es ist eine Illusion zu glauben, eine positivistische, atheoretische, „rein faktenbasierte“ Forschung wäre möglich. Wenn eine enggeführte EBM dazu bringt, die Homöopathie „anzuerkennen“, dann ist eben wirklich das Konzept der EBM auf den Prüfstand zu stellen und die Methodologie der klinischen Forschung (genauer: ihre Bewertung) zu überdenken. Dies ist das Ziel der Science Based Medicine, die nicht eine „lex homoeopathica“, sondern eigentlich eine lex esoterica ist:

EBM + CT = SBM
[CT: Critical Thinking]

Natürlich wird es in der Realität auch ohne „Science Based Medicine“ kaum zu einer Anerkennung der Homöopathie kommen können, dazu ist die Theorie einfach zu absurd. Anders ist die Lage bei der Akupunktur, die eine weitgehende Akzeptanz erfahren hat, aber hier sind wenigstens theoretisch noch irgendwelche Wirkmechanismen (Counter-Irritation) denkbar, und niemand, der ernstgenommen werden will, wird die Meridian-These mit Chi und Yin und Yang etc. vertreten. Dumpf gefühlt wird das ja auch von den Homöopathen selber, die diesem Hindernis mit dem genial erfundenen Wort „Plausibilitäts-Bias“ beikommen wollen.

Letzlich ist die Science Based Medicine kein wirklicher Gegensatz zur evidenzbasierten Medizin, sondern eine weitere, explizite Ausformulierung bisher in der Realität zweifellos implizit wirksamer Prinzipien. Eine umfassende Darstellung findet sich hier:

Fazit

Das letzte Wort zum Unwort überlassen wir wieder unserer Speerspitze der Aufklärung:

„Klar, auf jeden Galileo kommen mindestens 100, wenn nicht mehr Spinner, und vielleicht bin ich einer von denen. Aber eines ist sicher: „Sichere Erkenntnisse“ ist eine Vokabelnkombination, die im Rahmen der Wissenschaft nicht fallen sollte, weil sie nicht nur falsch, sondern töricht ist.“

Er hat recht: es gibt in der Medizin keine absolute Sicherheit. So, wie man nicht sicher wissen kann, ob der Mond nicht doch aus Schweizer Käse ist, kann man auch nicht sicher wissen, ob die Homöopathie nicht doch irgendwie, irgendwann wirkt, vielleicht bei Ebola-Fieber.

Und noch eines ist gewiss: Wenn der Herr Professor kein Galilei ist, dann ist er einer von denen ;-).


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